Johan Rockström und unsere Planetaren Grenzen

Johan Rockström und unsere Planetaren Grenzen

15. Oktober 2021
Geschrieben von: AnnaK
Unsere Planetaren Grenzen über Zeitraum 2009, 2015, 2023 (1)
Grafik: Azote for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University. Based on Richardson et al. 2023, Steffen et al. 2015, and Rockström et al. 2009

Es gibt politische, wirtschaftliche, administrative Grenzen, Grenzen in der Mathematik, Grundstücksgrenzen, Landesgrenzen, Kulturgrenzen, ja sogar Grenzen im Luftraum und im eigenen Kopf, es gibt Grenzen des individuellen Begreifens.

Und es gibt unsere Planetaren Grenzen.

Neun Planetare Grenzen regulieren unser Erdsystem

Sagt zumindest Johan Rockström, Resilienzforscher, Erdsystemwissenschaftler und derzeit Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Seine Theorie rund um die „Planetary Boundaries“, also die Planetaren Grenzen unserer Erde, hat seit Veröffentlichung 2009 für viel Aufsehen in der Wissenschaftsszene gesorgt. Seit einiger Zeit nun kursiert die Theorie auch vermehrt im öffentlichen Raum und sorgt für Gesprächs- und Denkstoff – nicht nur unter Wissenschaftler:innen.

Die Theorie stellt Fragen nach der Resilienz, also der Belastungsfähigkeit unseres Planeten:

  • Wie viele menschliche Eingriffe verkraften die Erdsysteme?
  • Welche Faktoren schädigen unsere Systeme so stark, dass diese ins Wanken kommen könnten oder sogar umkippen?
  • Und was passiert dann?

Neun Planetare Grenzen

Rockström und sein Team identifizieren in ihrer Forschung von neun sogenannten planetaren Grenzen und sagen von sieben, dass sie diese quantifizieren können, d.h. sie in Zahlen messbar machen. Mit dieser Forschung können sie Aussagen über die Gesundheit unseres Planeten und über unsere Lebensgrundlage als Menschen treffen. Zu den Planetary Boundaries gehören u.a. die Folgenden (eine vollständige Auflistung findet sich untenstehend):

  • Klimawandel: messbar an der Konzentration von CO2 in unserer Atmosphäre, die bestenfalls <350 ppm betragen sollte
  • Verlust der Artenvielfalt: diese sollte jährlich nicht höher liegen als <10 ausgestorbene Arten pro Million
  • Änderung der Landnutzung: nicht mehr als 15 % der eisfreien Erdoberfläche sollten in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt werden.

Wechselwirkung zwischen den Planetaren Grenzen

Die Theorie der Panetaren Grenzen ist deshalb so unwiderstehlich für Klimaaktivist:innen, da es die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Erdsystemen hervorragend darstellt. Der Klimawandel ist nicht unser einziges Problem. Die Systeme hängen zusammen. Wenn eines kippt, kann auch ein anderes kippen. Oder auch viele.

System Klimawandel: Zone of Uncertainty

Am Beispiel des Klimawandels kann die Überschreitung von planetaren Grenzen gut veranschaulicht werden:

In vorindustriellen Zeiten, etwa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, soll der Wert noch im Bereich von 280 ppm gelegen haben. Dies ist wesentlich weniger als die 400 ppm, die 2015 auf dem Schauinsland (Südschwarzwald) gemessen wurden oder auch als die 413,6 ppm, die Forscher:innen 2020 auf der Zugspitze gemessen haben. Warum Bergspitzen?

Die Gipfel liegen häufig unter der freien Troposphäre, die weitestgehend unbeeinflusst von lokalen Quellen ist, d.h. örtliche Faktoren, wie z.B. eine viel befahrene Autobahn in der Nähe oder ein Bergwerk, beeinflussen diese Messungen eher weniger. Die Zahlen sagen uns, dass wir den empfohlenen Wert von <350 ppm bereits überschritten haben. Wir befinden uns nun in der „zone of uncertainty“ – wir wissen also nicht wirklich, was passieren wird. Wir wissen bloß, dass ein erhöhtes Risiko besteht, dass das System Klimawandel Einfluss nimmt auf eine oder mehrere der anderen acht planetaren Grenzen.

Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Versauerung der Ozeane

Um die wechselseitige Beziehung der einzelnen Erdsysteme miteinander zu verdeutlichen, schauen wir uns die Systeme Klimawandel und Versauerung der Ozeane genauer an:

Eine höhere Konzentration an CO2 in der Atmosphäre führt dazu, dass die Versauerung der Ozeane zunimmt. Das liegt daran, dass unsere Ozeane das CO2 aufnehmen, dass wir ausstoßen - bis zu 25 % der menschlichen Emissionen. Einfach so. Mit zunehmendem Anstieg der Konzentration an CO2 in unserer Atmosphäre jedoch, müssen unsere Meere auch mehr CO2 aufnehmen. Dadurch steigt der Säuregehalt im Wasser: Mehr Kohlendioxid, mehr Säure. Folglich sinkt der pH-Wert in den Ozeanen und viele Meerestiere reagieren darauf. Insbesondere jene, die die im Wasser vorhandene Karbonat-Ionen nutzen, um ihre Kalkskelette und -schalen zu bauen, wie Muscheln, Seeigel, Schnecken und Korallen.

Mehr CO2 im Wasser (H2O) bedeutet mehr Kohlensäure (H2CO3), welche sich wiederum in H+-Ionen und Hydrogenkarbonat-Ionen (HCO3-) aufspaltet. Die H+-Ionen verbinden sich wiederum mit einem Teil der Karbonat-Ionen (CO32-) zu Hydrogenkarbonat-Ionen (HCO3-). Die H+-Ionen nutzen also die Karbonat-Ionen, um zu Hydrogenkarbonat-Ionen zu werden. Und die Schnecken können sich keine Häuser mehr bauen, da immer weniger Karbonat-Ionen für die Bildung des wichtigen Kalziumkarbonats (CaCO3) übrigbleiben. Kalziumkarbonat ist nämlich der Beton des Meeres, aus ihm werden Kalkskelette gebaut. Auf und mit Kalkskeletten leben Korallen. Das nennt sich dann Korallenriff.

Planetare Grenzen und ihre Wechselwirkungen

Wem das zu viel Chemie 9. Klasse war, merke sich: Mehr CO2, weniger Korallenriffe.

Warum ist die Theorie um die Planetaren Grenzen so wichtig?

Wir sind derzeit wissentlich dabei, die stabilen Zustände unserer Erdsysteme zu verlassen und uns in eine ungewisse Zukunft aufzumachen. Das ist so, als hätten sie Neil Armstrong in eine Rakete gesetzt, ihm die Mess- und Navigationsinstrumente weggenommen und ihm viel Glück gewünscht: „Junge, wird schon werden, irgendwo wirst du schon landen. Toi, toi, toi. Tschö.“

Ein Glück ist es, dass Menschen gerne in Zahlen, Kategorien und Systemen denken. Schaut euch nur einmal um. Alles ist einzuordnen, zu kategorisieren, zu beschriften, zu betiteln und in Zahlen auszudrücken.
Durch Johans Messbarmachung der Auswirkungen, die die Menschheit in ihrem Tun auf die natürlichen Erdsysteme hat, ist somit ein Übergang aus der Vielleicht-vielleicht-aber-auch-nicht-Sphäre in die So-ist-es-hier-sind-die-Zahlen-tut-etwas-Sphäre geschaffen worden. Endlich können wir begreifen, was da um uns geschieht. Und es anpacken.

Mit dem 2°C-Ziel hat die globale Politik bereits eine wichtige klimapolitische Zielsetzung formuliert. Doch damit ist es nicht getan. Wir müssen weitere – und größere – Anstrengungen unternehmen, um die Integrität, also die Unversehrtheit unseres Planeten zu bewahren. Dort, wo unser Planet uns Grenzen aufzeigt, da müssen wir anfangen unseren Verstand über diese Grenzen hinweg zu zwingen. Soll heißen: Grenzen sind flexibel, überwindbar, veränderbar. Nicht immer, aber im Falle der Planetary Boundaries ist es möglich den Schritt über die Grenze auch wieder zurück zumachen.

An dieser Stelle auch zu empfehlen: Es existiert eine sehr aufschlussreiche und anschauliche Doku über Johan und seine Grenzen. Zu finden auf dem Video-On-Demand-Anbieter deines Vertrauens (rotes N auf schwarzem Grund).

Die Planetaren Grenzen nach Johan Rockström und Team:

  • Climate change (Klimawandel, messbar an der Konzentration von CO2 in unserer Atmosphäre, die bestenfalls < 350 ppm betragen sollte)
  • Loss of biological diversity (Verlust der Artenvielfalt, die jährlich nicht höher liegen sollte als <10 ausgestorbene Arten pro Million)
  • Stratospheric ozone depletion (Abbau der Ozonschicht, die <5% des vorindustriellen Levels nicht überschreiten sollte)
  • Land system change (Änderung der Landnutzung; nicht mehr als 15 % der eisfreien Erdoberfläche sollten in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt werden)
  • Ocean acidification (Versauerung der Ozeane; mehr als 80 % der vorindustriellen Aragonitsättigung soll erhalten bleiben)
  • Atmospheric aerosol loading (Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen (z.B. Feinstaub); Grenze muss noch bestimmt werden)
  • Biogeochemica flows: interference with P and N cycles (Biogeochemische Kreisläufe; die Phosphor (P) und Stickstoff (N) -Kreisläufe sollten limitiert werden auf 35 Millionen Tonnen pro Jahr - 35 Mt Nr yr-1)
  • Global freshwater use (Süßwassernutzung; nicht mehr als 4000 km3 pro Jahr sollten verwendet werden)
  • Introduction of novel entities (Neue Substanzen und Lebensformen; Grenze muss noch bestimmt werden)
    Wichtig ist zu sagen, dass diese Vorschläge der Forscher:innen ausdrücklich als erste Abschätzung verstanden werden müssen. Nachjustierung in strengere Grenzen sind jederzeit möglich.

Quellen:

1 Tagesschau: Viele Haushalte sparen - und frieren, unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/heizen-sparen-geldnot-100.html [Stand: 04.12.2023]

2 Bundesministerium der Justiz: Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz - BEHG), unter: https://www.gesetze-im-internet.de/behg/BJNR272800019.html [Stand: 04.12.2023]

3 Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Berechnung und Aufteilung der Kohlendioxidkosten, unter: https://co2kostenaufteilung.bmwk.de/schritt1  [Stand: 04.12.2023]

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